Weltkulturerbe Baden-Baden
Bianca Bondis neue (alte) Sicht auf das Kulturerbe in "I Feel the Earth Whisper" im Museum Frieder Burda in Baden-Baden bis 3. November
Bianca Bondi, Installationsansichten von "Salt kisses the lichens away" in der Ausstellung "I feel the Earth Whisper", 15. Juni bis 3. November 2024, im Museum Frieder Burda, Baden-Baden,
Fotos: Martina Sauer, 3. Juli 2024
Thermalwasser bestimmt seit über 2000 Jahren die Geschicke Baden-Badens. Die Römer nutzten es bereits, das Herrscherhaus der Badener schätzte es und lenkte von hier aus das Geschehen in ihrer Markgrafschaft seit dem Mittelalter. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts stieg Baden-Baden mit der Ernennung zum Großherzogtum durch Napoleon zur "Sommerhauptstadt Europas" (hier aufrufen) auf. Der Adel Europas fand sich hier ebenso selbstverständlich ein wie andernorts. Neben dem Versprechen auf Heilung im Kurbad ging es auch um Diplomatie und Allianzen etwa über Heirat.
Es ist die junge Künstlerin Bianca Bondi, die in der aktuellen Ausstellung "I Feel the Earth Whisper" im Museum Frieder Burda, nicht nur das Traditionserbe Baden-Badens aufgreift, sondern darüber zugleich das Verhältnis von Mensch und Natur in ein neues Licht rückt. Das macht ihren Beitrag besonders spannend. Gerade die Anerkennung Baden-Badens als Weltkulturerbe 2021 kommt damit in den Fokus. Denn in dem Streben um Erhalt, der sich in der Vergabe ausdrückt, wird zugleich von der Gefährung und damit von der Möglichkeit des Verlusts gesprochen. So betreffen die Gewässer-, Luft- und Bodenverschmutzung und die Zersiedelung unseres Lebensraums auch Baden-Baden. Die Geschichte des Ortes und damit auch die der Architektur und der Lichtentaler Allee als bedeutender Landschaftsgarten sowie die Bedeutung von Spa bzw. des Thermalwassers geraten dadurch unter Veränderungsdruck.
Beides greift Bianca Bondi mit der Gestaltung eines eigenen Raumes im Obergeschoss des Museums auf. Mit einer blassen, rauchblauen Landschaftstapete mit weidenden Kühen und Gänsen vermittelt sie ein Vorstellungsbild von Baden-Baden als Idylle. Auf Inseln von Moos stehen Behälter mit Wasser aus der Fettquelle vor Ort. "Bäume" bzw. Zweige strecken ihre Arme bis zur Decke aus. Grüne Flechten hängen daran wie Girlanden. An den Wänden hängt sie Gobelins auf mit Motiven von Muscheln und appliziert daran echte Hortensienblüten und kleine Zettel wie etwa einen blassen Ausdruck einer Abbildung der Trinkhalle. Auf kleinen Absätzen platziert sie Grottenmasken und Feenhaar oder einen kleinen Flacon mit Wasser und einen kleinen Zettel, auf dem in winzigen maschinengeschriebenen Buchstaben "Paradies" steht.
Mit all diesen Accesssoires kommen Vorstellungsbilder an Reitausflüge zum sagenumwogenen Mummelsee, an Promenaden zur Trinkhalle, zum Kurhaus und Casino, zum Theater und eben entlang des sogenannten Paradieses (hier aufrufen) am Annaberg in Baden-Baden auf. Dabei handelt es sich um eine 40 Höhenmeter überwindende Kaskade von Wasserbecken im Stil der Renaissance, deren Anfang ein Brunnengrottenhaus mit Arkaden bildet.
Gerade zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit dem Rokoko und verstärkt in der Romantik gewinnen die Begriffe der Idylle und des Paradieses eine neue Bedeutung. In ihnen spiegelt sich das Erhabene wider, wie es Kant in der Kritik der Urteilskraft 1790 vorformulierte. In ihm kulminiert die Überlegenheit des Menschen über die Natur. Es ist die geistige Überlegenheit des Menschen, die das erklärbar macht (vgl. hier Sauer 2000, S. 190-198, hier aufrufen). Einher geht damit jedoch eine weitere Maxime, nämlich diejenige, die Verantwortung zu übernehmen, die dem überlegeneren Teil zukommt.
Tun wir das wirklich, Verantwortung übernehmen? Unser Ringen heute um Umweltschutz, Klimaschutz, Nachhaltigkeit etc. spricht Bände und erzählt von unserem Versagen. Das Ausweisen von Schutzräumen von Weltkultur- und Weltnaturerbestätten (hier aufrufen) durch die UNESCO unterstreicht unser Scheitern. So schleicht sich schließlich beim Betrachten des von Bondi gestalteten Raumes auch ein Stück Wehmut ein, eben genau von dem Versagen, von Vergangenem, vom Verlustiggehen .... . Seit Beginn der Ausstellung im Juni sinkt der Wasserspiegel in den Behältern des salzhaltigen Thermalwassers beständig, die lebensfeindliche Salzkruste wird immer dicker. Die Blütenpracht der Hortensien verblasst, das Moos wird zunehmend braun, die Blätter der Bäume sind längst abgefallen, das Foto der Trinkhalle ist winzig und unscharf, der Schriftzug Paradies stammt aus dem längst vergangenen Schreibmaschinenzeitalter ... .
Mit dieser jüngsten Ausstellung "I Feel the Earth Whisper" - und tatsächlich fühlen wir das Traditionserbe der Stadt und die Natur wie aus weiter Ferne nur noch wispern - ist der Kuratorin, der Stieftochter des Stifters des Museums Frieder Burda, Patricia Kamp, gemeinsam mit Jérôme Sans ein Meisterwerk gelungen: Als Jubiläumsausstellung verstanden ehren sie hiermit, 20 Jahre nach der Gründung des Hauses, den 2019 verstorbenen Stifter. Zugleich nehmen sie damit jedoch auch Baden-Baden selbst zum Anlass, nicht nur, um das Verhältnis von Mensch und Natur, sondern auch dasjeniger zur Geschichte des Ortes über Kunst - wie vor allem Bianca Bondi zeigt - neu zu diskutieren. Wobei dabei der anfänglich aufkommende Verdacht auf Kitsch und Esotorik in ihrem Werk in Wehmut und Sorge angesichts der Vergänglichkeit, die wir nicht aufhalten können, umschwenkt. Eine Stimmung, die Bondi auch in anderen Werken anschlägt (vgl. etwa zur Vergänglichkeit von Schönheit The Antechamber (Tundra Swan), 2020 - Mixed media Installation - Exhibition view, Busan Biennale, 2020,hier aufrufen).
Eine sehr sehens- und bedenkenswerte Ausstellung.
Termine für Führungen, die zudem die Räume von Julian Charrière, Sam Falls und Ernesto Neto einbeziehen, bitte ich direkt telefonisch oder per mail an mich zur Abstimmung zu richten: Tel.: +49 (0)7223-9129174 (AB) oder msauer@bildphilosophie.de
Institut für Bild- und Kulturphilosophie
Dr. phil. Martina Sauer
Wörthstraße 1
D - 77815 Bühl
(Baden-Baden)