Karneval? Oder mehr?
Nicolas Party, Zwei Katzen (Kupfer Version), 2022, Öl auf Kupfer,
15.2 x 10.2 cm (NPS-2138) im Museum Frieder Burda, Baden-Baden
Foto: Martina Sauer, Februar 2024
Zwei Personen sind es, eine Frau und ein Mann, verkleidet als Katzen, die der aufsteigende 43-jährige Star am Kunsthimmel Nicolas Party (*1980 in Lausanne, Schweiz) in der aktuellen Einzelausstellung im Museum Frieder Burda in Baden-Baden zeigt. Vor dem Hintergrund von Klimawandel und Artensterben und dem Anteil des Menschen daran, die von dem Künstler immer wieder mit seinen Installationen diskutiert werden, gewinnt auch diese kleine Arbeit von knapp 10 mal 15 cm in Öl auf Kupfer an Brisanz. Es ist deren hintergründiger, frecher Witz, der mich besonders anspricht. Denn tatsächlich verkleidet sich der Mensch gerne und stellt sich auch gerne als unschuldig und harmlos hin. Und genau das zeigt die Arbeit.
Dieses Bedürfnis sich zu verkleiden kommt vor allem zur Karnevalszeit bzw. in der Faschingszeit – wie es bei uns im Badischen heißt – auf. Dann, wenn wir die Wintersteife ablegen und uns auf den Frühling einstimmen und gleichzeitig in Umzügen uns zusammenfinden, um die Winterdepression zu vertreiben und Hoffnung auf Erneuerung suchen. Im Februar, also jetzt, wenn wir durch die Panoramascheiben des Richard Meier-Museumsbaus die blassvioletten Krokusse in der Lichtentaler Allee zu Tausenden auf dem grünen Rasenteppich blühen sehen, hat das eine besondere Bedeutung. Mit einem Gefühl für einen Aufschwung und im christlichen Glauben auf ein Wiederauferstehen von den Toten treten wir daher erstmals nach langer Zeit wieder aus dem Haus und geben unseren Gefühlen mit den Kostümen im Fasching einen Ausdruck. So erscheinen uns die beiden Protagonisten im Kostüm einer Katze einfach nur witzig. Stutzig stimmt dann jedoch, dass beide uns sehr wach und eindringlich anschauen. Um was geht es hier noch? Um mehr? Und wenn dann um was? Diese Augen sprechen von einer Intelligenz, die Katzen so nicht haben. Das Doppeldeutige, was in jedem Kostüm und jeder Verkleidung steckt, wird dann plötzlich interessant. Was ist damit gemeint?
Lichtentaler Allee in Baden-Baden im Februar 2024, Foto: Rüdiger Ruddies
Ich selbst habe zwei Katzen, das ist wichtig, denn sie haben bei uns zuhause einen Job, den jedoch nur eine der beiden erfüllt. Sie sollen und müssen Mäuse jagen. Um Haus, Hof und Garten vermehren sie sich bei uns rasant, wenn wir nicht gegensteuern. Zugleich sind die beiden ja auch sehr anhänglich und putzig. Doch nur die eine verdient den Titel Meisterjägerin, denn sie schafft wohl die offizielle Zahl – also die Erfolgsquote – von 10 bis 12 Mäusen pro Tag. Inzwischen kenne ich mich sogar, wegen ihrem Eifer uns zu gefallen, mit den verschiedenen Mäusearten aus …
Um was geht es also, wenn Party uns Menschen als Katzen kostümiert? Schnell wird klar, wohin die gedankliche Reise geht. Denn allein der Mensch kann als der wahre Meisterjäger angesehen werden. Doch was er jagt und fängt und frisst sind keine Mäuse, sondern alles, was die Umwelt hergibt. Wir Menschen sind die wahren, sehr gefährlichen Räuber. So ist nichts vor uns sicher. Bis in den hintersten Winkel haben wir uns die Welt erobert. Erde, Luft, Wasser, Pflanzen und Tiere können uns nicht aufhalten. Sie fallen uns alle zum Opfer. Im Moment steht die Ausbeutung der Tiefsee an, denn dort lassen sich seltene Mineralien finden, die wir gerade für unseren technischen Fortschritt dringend brauchen. Der wahre Meister und Herrscher im unscheinbaren, witzigen Kostüm ist der Mensch. Das sind wir alle. Auf dem Bild erscheinen wir klein und schwach im Vergleich zur körperlichen Stärke eines Löwen oder Hais oder angesichts der Gewalt des Meeres, der Weite des Landes und der Vielfalt der Tier- und Pflanzenwelt. Doch das täuscht. Der intelligente Blick der beiden Meisterjäger der Spezies Mensch, von Frau und Mann, je im Faschingskostüm einer Katze in einem wirklich kleinen Bildformat und durch einen Rahmen aufgewertet, macht uns nichts vor. Wir wissen Bescheid. Wir haben uns die Welt untertan gemacht, wir sind die Herrscher über sie.
Wie sehr das stimmt, zeigt ein Blick in den Ausstellungsraum. Er macht deutlich, uns hilft auch kein Vaterunser mehr. Denn bemerkenswerter Weise hängt dieses kleine unscheinbare Bild in einer Reihe von drei Altarretabeln auf Marmorpodesten am Kopfende des Mezzaningeschosses. Deren Außenseiten und damit die Alltagsseiten der Retabel zeigen ganz in trübem Grau Bäume, Grotten oder Wasserfälle, während das innere Bild, das normalerweise in der Kirche nur an Feiertagen geöffnet wird, nicht der Hoffnung auf Erlösung durch Gott gewidmet ist, sondern dem Bild des Menschen. Wir sehen es erst, wenn wir die Reihe durchgelaufen sind und uns umdrehen. Dieses Bild des Menschen, sein Antlitz, ist je sehr prächtig, farbig und androgyn. Noch so eine Wirkung unserer Zeit, in der kein Unterschied mehr zwischen Mann und Frau gemacht wird. Deutlich wird durch die Farbigkeit und die Auswahl der Motive, dass der Glaube an Gott und die Hoffnung, er könne es wieder richten, was wir alles so anrichten, nicht mehr zieht. Wir können uns nicht verstecken. Es gibt keine Absolution. Wir haben die Verantwortung für unser Tun ganz allein, und die Folgen betreffen auch nur uns. Gerade das erzeugt einen merkwürdigen Nachgeschmack. Denn es ist damit auch klar, stirbt der Mensch aus, indem er sich durch seinen Raubbau seiner eigenen Lebensgrundlagen entzieht, dann bleibt die Welt dennoch bestehen, wohl etwas verändert durch uns, aber eben ohne uns. Und wir werden auch nicht durch die schützende Hand eines Gottes, den wir längst übergangen haben, doch noch gerettet werden. Aber was soll´s. Ein Trost gibt es ja, denn die Erde dreht sich weiter, während wir vergangen sind.
Immer noch schmunzelnd betrachte ich das unscheinbare Bildchen mit dem unschuldig und harmlos wirkenden Menschenpaar in Katzenkostümen, das mich so aufmerksam anschaut. Der letzte Gedanke gilt dem Titel der Ausstellung When tomorrow comes. Was uns morgen erwarten könnte, wenn wir so weitermachen, glimmt noch einmal in mir auf. Es ist ein treffender Titel, der wie eine offene Frage im Raum steht, den Nicolas Party für diese Ausstellung seiner Installation im Museum Frieder Burda gewählt hat.
Institut für Bild- und Kulturphilosophie
Dr. phil. Martina Sauer
Wörthstraße 1
D - 77815 Bühl
(Baden-Baden)