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Geschichte neu denken!

Martina Sauer • 2. Oktober 2020
Erinnern und Ehren mit  Straßennamen: Das Beispiel Alban Stolz

Aktuelle Meldung: Am 19. November 2020 wurde die Alban-Stolz-Straße in Bühl in "Straße der Weißen Rose" umbenannt.

Mit dem neuen Namen wird auf die Widerstandsgruppe gegen das NS-Regime erinnert, der unter anderem der von den Nationalsozialisten ermordete Willi Graf angehörte. Er war Bruder der Bühler Ehrenbürgerin Anneliese Knoop-Graf.



Vor dem Hintergrund der Diskussion zur Umbenennung der Alban-Stolz-Straße zuerst in Bühl (Kreis Rastatt) und nun auch des Alban-Stolz-Weg in Sinzheim (Stadtkreis Baden-Baden) kommt vieles in Bewegung und hierzu bietet sich ein ernsthaftes Nachdenken über Geschichte und dem „was ist Zeit für uns?“ an: Denn hat Alban Stolz nicht einfach eine zu seiner Zeit allgemein verbreitete Ansicht über Juden und Frauen vertreten? Wenn dem so ist, so reicht doch ein kleiner Hinweis unter dem Namensschild, um darauf hinzuweisen? Warum also die allgemeine Aufregung und eine Namensänderung nun auch des Alban-Stolz-Weg in Sinzheim? Liegt es nicht an den Anwohnern, das zu entscheiden, denn das ist doch Vergangenheit und heute ist es anders?


Doch hierin täuschen sich die meisten. Geschichte besteht eben nicht aus einzelnen Ereignissen, die in einem Zeitstrahl erfasst und in der Schule gelernt werden. Geschichte ist ein lebendiger Zusammenhang, in dem Erfahrungen gesammelt und angeschaut und schließlich als Erkanntes und Verstandenes aufgegriffen und festgehalten wird. Entscheidend ist, dass wir daraus jeweils Schlussfolgerungen für unser Handeln ziehen. Denn wir orientieren uns an unseren Erfahrungen. Der Kulturphilosoph Ernst Cassirer bezeichnete dieses uns heute vertraute Verständnis von Geschichte als „Bildkraft und Tatkraft“, die den Menschen gegenüber dem Tier auszeichne. Geschichte ist damit etwas, das wir beständig selbst hervorbringen. Es sind eben unsere Erfahrungen, aus denen wir lernen, die wir uns merken und an denen wir unser Handeln ausrichten.


Und so lässt sich mit Gewissheit sagen, Alban Stolz war tatsächlich für seine Zeit ein typischer Antisemit, doch als bedeutender Vertreter der katholischen Kirche und Professor der Theologie in Freiburg wurde ihm sowohl von der Kirche als auch von den Gläubigen allerorten ein enormes Vertrauen entgegen gebracht. Seine Erkenntnisse als Gelehrter und damit seine Aussagen in seinen Schriften dienten vielen als Vorbild für das eigene Handeln. Nicht nur über seine Vorlesungen, Seminare und zahlreichen Bücher, sondern vor allem mit der für seine Zeit sehr hohen Auflage, die seine Aussagen in Kalenderblättern erreichte, strahlte seine Meinung weit hinaus. Sie prägte nicht nur die Ansichten von Studierenden und Priestern, sondern auch die der einfachen Leute. Und hier wird die Sache besonders brenzlig, denn wer Meinungsträger ist, übernimmt mit seinem Tun Verantwortung. Das gilt bis heute. So plädiert das Erzbistum Freiburg heute ausdrücklich dafür, die Büste Alban Stolz’ vor der Freiburger Konviktskirche zu entfernen.


Insofern ist es eine Selbstverständlichkeit: Eine Auszeichnung mit einem Straßenschild muss sich eine Person verdienen. Das gilt auch für Alban Stolz. Denn egal wer kommt und geht, wer Briefe liest und Landkarten zu Rate zieht oder sich von Navi-Systemen leiten lässt, sieht, hört und liest den Namen, mit dem hier eine Person bis heute geehrt wird. Sein Wirken erkennen wir damit alle als vorbildlich an und zwar nicht nur die Anwohner, sondern auch die jeweiligen Gemeinden und Städte, die diesen Namen vergeben haben. Das ist noch in anderer Hinsicht wichtig, denn Kinder glauben den Erwachsenen, denn sie haben diese Person ja in besonderer Weise ausgezeichnet. Das muss doch stimmen, oder?


Geschichte wirkt auf das Handeln ein. Das heißt: Alban Stolz hochzuhalten bedeutet, ihn weiterhin als Vorbild hochzuhalten und ihm damit Einfluss auf unser Denken und Handeln zu geben. Wollen wir das? Für uns alle gilt doch, wir lernen aus Erfahrungen und aus der Geschichte und ändern damit unsere Meinung und wir handeln danach. Darin liegt im Kern unsere Möglichkeit für Fortschritt.


Dennoch, vergessen oder verdrängen sollten wir Alban Stolz gerade bei uns in der Region nicht, sondern die Auseinandersetzung mit ihm ermöglichen. In der Schule im Religions- und im Ethikunterricht sowie im Politik- und Geschichtsunterricht sollte er besprochen werden. Das kann sogar im Deutschunterricht geschehen, in dem untersucht werden kann, wie er über seine Sprache Einfluss genommen hat. Ein Ort der aktiven Auseinandersetzung mit dem gebürtigen Bühler kann konkret auch das Bühler Stadtmuseum sein, in dem die Dinge ausgestellt und pädagogisch aufgearbeitet werden können, über die er Einfluss nahm: Straßenschilder, Kalenderblätter, Bücher, das Glasfenster im Bühler Rathaus, Bilder des katholischen Alban-Stolz-Gemeindezentrums in Bühl und solche der Einsegnungskapelle auf dem Friedhof in Kappelwindeck in Bühl, die umgangsprachlich „Alban-Stolz-Kapelle“ genannt wird. So bleibt als Plädoyer nur zu sagen: Lernen wir aus der Erfahrung und der Geschichte und würdigen die Vorbilder, die uns heute – vor dem Hintergrund neuer Erkenntnisse – wichtig sind und handeln danach.



(In gekürzter Fassung als Leserbrief in den Badischen Neuesten Nachrichten, Ausgabe Bühl, am Freitag, 09.10.2020 erschienen) 

 

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